Montag, April 05, 2010

Schweinwelten

In Ägypten sind uns so einige Scheinwelten bewusst geworden. Schönheit, Geld, Himmel-Hölle, Identität, Technologiegläubigkeit, Fresssucht, Arbeitswut…… Die in den Scharm-Ferien gemachten Fotos regen (hoffentlich) zum Nachdenken an.


Schönheit: Die Szene am Strand ist bezeichnend. Eine blonde Russin setzt sich (vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben) vor einem Profi-Fotografen ins richtige Licht. In der Abendsonne räckelt sie sich vor der Kamera im hautengen Bikini am Strand, faltet unschuldig die Hände, zeigt sich auf dem Bauch liegend, einem Tiger ähnlich, spreizt die Beine und wippt nekisch mit dem Po. Wozu diese Fotos wohl gebraucht werden? Für eine erhoffte Karriere als Modell? Bei der Suche nach einem reichen Mann? Für das eigene Ego oder für die Familiengalerie der Eltern? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen ist: Das Schönheitsideal, in der Werbung täglich gebraucht und missbraucht, geht von der schlanken, frischen, knackigen, braun gebräunten, vitalen, jungen Frau aus. Alt, runzelig, fett, verbraucht ist nicht sexy und hat keinen Marktwert. Was zählt, ist äussere Schönheit. Innere Werte zählen in jungen Jahren bei den meisten Menschen wenig bis nichts.


Das Goldene Kalb: Am Eingang zum Katharinen-Kloster befindet sich rechterhand eine von der Natur geformte Felsenplatte, die dem Vernehmen nach das Goldene Kalb aus dem Alten Testament symbolisiert. Gold? Geld? Reichtum? Auch im 21. Jahrhundert neigen wir dazu, dem Geld zu verfallen. Ist es nicht so? Rennen wir nicht zu oft, zu lange und zu intensiv dem Big Mammon hinterher? Bedeutet Geld auch Macht? Eröffnet Geld eine Scheinwelt, aus der man fast nicht mehr herausfindet?


Identität: Wer bin ich? Diese Frage stellen wir uns alle einmal im Leben. Kennen wir die Antwort? Wer ist diese junge Frau unter dem Kopftuch? Die Antwort scheint nahe zu liegen: Eine Beduinin. Die dunklen Mandelaugen, der von der Wüstensonne gegerbte Teint, das Kopftuch verraten die Identität. Sicher? So kann man sich täuschen. Bei der Frau handelt es sich um eine verkleidete Zürcher Touristin.


Technologiegläubigkeit: In der Wüste beobachten wir diesen Nomaden. Seelenruhig sitzt er am Rand der Strasse und spielt auf seinem Mobile-Telefon herum. Tief in der Tradition verwurzelt, trägt er ein Kopftuch. Die Jeansjacke dagegen spricht für eine gewisse modische Anpassung an die Neuzeit. Das Handy indes belegt, dass die High-Tech-Revolution auch auf der Sinai-Halbinsel Einzug gehalten hat. Nun hoffen wir, dass der Beduine noch nicht ganz so technolgiegläubig ist wie wir Europäer.


Himmel und Hölle: Glauben Sie/ glaubst Du an Gott, an Jesus, an Maria, an den heiligen Geist, an Himmel und Hölle? Jeder und jede muss diese Frage für sich selbst ganz allein beantworten. Während sich die einen in Sekten, Glaubensgemeinschaften oder seltene Kulte stürzen, gehören andere einer Landeskirche oder einer fremdländischen Religion an. Wieder andere sind aus der Kirche ausgetreten und glauben weder an Gott noch an eine andere überirdische Macht. Das Animationsteam im Regency Plaza hat gleichzeitig uns den Teufel und den Engel geschickt. Halleluja. Noch nie waren wir Himmel und Hölle so nahe wie am Pool. Der Teufel stellte sich sogar für ein Gruppenfoto zur Verfügung. Der Andrang war erstaunlich gross. Was beweist, dass die Menschen das Abenteuer eher suchen als den inneren Frieden. Der Engel (italienischer Herkunft) sorgte sich inzwischen um das leibliche Wohl der Gäste und verteilte munter Bier. Himmlische Zustände, dürften sich die verwöhnten Touristen gesagt haben. Nun. Wenn ich wählen könnte, dann hätte ich wohl den Engel und nicht den Teufel gerufen.


Kulinarische Versuchungen: Eigentlich sind wir nach Sharm gekommen, um unser Gewicht zu halten. Doch die Scheinwelt am Dessert-Buffet war zu gross. Den täglichen Versuchungen konnten wir nicht widerstehen. Wir haben kräftig zugelangt und jetzt ein schlechtes Gewissen. Weshalb müssen die Ägypter so feine Kuchen, Leckereien und Honig-Kekse backen? Weshalb sind die Dessertplatten grösser als die Salat-Buffets? Wir wissen es nicht. Was wir hingegen wissen, ist, dass wir das Idealgewicht leider nicht halten konnten.


Arbeitswut. Heutzutage ist man froh, einen sicheren Job zu haben. Wer ist schon gerne arbeitslos? Work-o-holic zu sein, ist hingegen auch nicht gut. Im Übermass zu arbeiten und die eigenen Grenzen nicht zu kennen, geht auf die Dauer an die Gesundheit, schadet dem Privatleben und macht auch keinen Spass. Sich im Büro in eine Scheinwelt zu stürzen, kann gefährlich werden, wenn man es selber nicht merkt. Wirksames Gegengift sind Ferien, möglichst weit weg vom beruflichen Alltag, möglichst ohne Mobile-Telefon und ohne Computer. Nur so kann man die Batterien laden und sich für neue Aufgaben stärken. Deshalb Hut auf den Fuss, Aussicht geniessen und zurücklehnen. Heureka. 18.3.2010.

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