Sonntag, Januar 28, 2007

Oben gegen unten in Berlin

Am Wochenende wählen die Berlinerinnen und Berliner ein neues Abgeordnetenhaus. Der Wahlkampf der Spitzenkandidaten erinnert an bekannte Muster unmittelbar nach der Wiedervereinigung: Hier der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), ein populärer Linker, Berliner mit Bodenhaftung, offen für die Anliegen der Massen. Dort der aus dem Westen zugezogene Konservative Friedbert Pflüger (CDU), ehemaliger Redenschreiber Richard von Weizsäckers, ein Intellektueller, der zwar die Unterstützung der Kanzlerin geniesst, im Ostteil aber wie ein Fremdkörper wirkt.

An spannenden Wahlkampfthemen mangelt es nicht: Grossflughafen Berlin-Schönefeld, Einheitsschulen, Arbeitsplätze, Sozialpolitik, Rechtsextremismus. Über allem schwebt das Zusammenwachsen der Metropole, ein dynamischer Prozess, der zumindest optisch Fortschritte macht: 17 Jahre nach dem Fall der Mauer ist die Teilung nur noch schwer auszumachen. Auf dem Potsdamer Platz, in der Leipziger Strasse und dem Tiergarten entlang pulsiert der Verkehr. Der ehemalige Mauerstreifen vernarbt. Häuserfassaden im West- und Ostteil gleichen sich an. Moderne Glaspaläste werden nicht nur am Ku'damm, sondern auch am «Alex» in die Höhe gezogen.

Dass die Teilung überwunden wurde, lässt sich auch an den Schaufenstern und den darin gezeigten Produkten ablesen: Die Luxus-Kette Swarowski im Nikolai-Viertel erfreut sich grosser Beliebtheit. Der Coiffeur an der Karl-Liebknecht-Strasse (Ost) verwendet dieselben Shampoos wie sein Kollege in Charlottenburg (West). Im Friedrichstadt-Palast stehen Geschäftsleute aus Hannover neben jungen Ehepaaren aus Marzahn an der Pausenbar. Und die wilden Punks nutzen das gesamtstädtische S-Bahn-Netz, um mit Bierharassen von einem Bezirk in den anderen zu pendeln.

Während sich die optische Teilung Berlins allmählich in Luft auflöst, verschärft sich eine andere Teilung: Die sich öffnende Wohlstandsschere ist in den Gesichtern der Menschen, an deren Handgelenken erkennbar. Am Bahnhof Savigny-Platz eilen Geschäftsleute mit Rolex-Uhren und Business-Handys am Gürtel an einer obdachlosen alten Frau vorbei. Im Sony Center brunchen reiche Touristen aus aller Welt, während in der U-Bahn-Station davor ein junger Arbeitsloser um ein paar Cents bettelt.

Auch von dieser Teilung handelt der Wahlkampf zwischen Pflüger und Wowereit. Es ist ein Wahlkampf, der die Interessengegensätze der neuen Berliner Klassengesellschaft deutlich macht. Das Thema lautet nicht mehr «West gegen Ost», sondern «oben gegen unten».

baz vom 31.8.06

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