Montag, Januar 22, 2007

High-Tech-Erfolge und alte Affen

«Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt, behaart und mit böser Visage, dann hat man sie aus dem Urwald gelockt und die Welt asphaltiert und aufgestockt…» Mit diesen Zeilen beginnt das Kästner-Gedicht über die «Entwicklung der Menschheit». Vor 74 Jahren hielt der deutsche Schriftsteller satirisch fest, dass trotz technischer Entwicklung oft derselbe Ton herrscht «wie seinerzeit auf den Bäumen».

Nicht zu Kästners Prognose gehörte, dass der Fortschritt zu gravierenden Negativfolgen und einer wachsenden Abhängigkeit führen kann: Die Erfindung der Lokomotive, des Autos und des Flugzeugs haben unsere Mobilität erhöht, aber auch die Zahlen der Unfallopfer explodieren lassen: Während früher bei einer Kutschenkollision nur wenige Menschen zu Schaden kamen, sind heute im Katastrophenfall mit modernen Transportmitteln Hunderte von Menschen betroffen.

Zwei Ereignisse haben dies in den letzten Tagen drastisch aufgezeigt: Die unkontrollierte Fahrt eines Güterzugs von Frutigen nach Spiez hatte drei Tote und gesperrte Eisenbahnverkehrsverbindungen zur Folge. Der gestrige Steinschlag im Kanton Uri tötete zwei Autofahrer und führte zu einer Schliessung der Gotthard-Autobahn. Der Verkehrsinfarkt kurz vor Pfingsten ist erneut Tatsache geworden.

Die Abhängigkeit von der Technik erfahren wir auch bei der Stromlieferung und in der Computertechnik (Viren): In der heimischen Wohnung, im Ferienhaus oder im Büro mit Strom versorgt zu werden, ist ebenso angenehm wie selbstverständlich. Der grosse Schock kommt dann, wenn der Strom für längere Zeit ausfällt, der Computer von aggressiven Viren befallen wird und streikt.

Welche Schlüsse ziehen wir? Die Technik ist nur so gut wie der Mensch, der dahinter steht. Fortschritt allein kann nie perfekt sein, sondern muss immer kontrolliert werden: Im Verkehrsbereich braucht es doppelte Sicherungssysteme (technische und menschliche), welche die Bremsen von Personen- und Güterzügen überwachen. Entlang steinschlaggefährdeter Autobahnen sind Fangnetze und Sensoren unverzichtbar, die den Fels rund um die Uhr kontrollieren. Stromversorgungsunternehmen haben funktionierende Backup-Systeme bereitzustellen, und Software-Lieferanten sind beim Virenschutz gefordert.

Werden Sicherheitsvorkehrungen nicht installiert und von Menschen überwacht, landen wir da, wo Kästners Gedicht aufhört: «Bei Lichte betrachtet, sind sie im Grund noch immer die alten Affen.»

baz vom 1.6.06

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