Montag, Januar 22, 2007

«Die Ego AG und das grosse Ganze»

Der Sozialstaat sei ein Auslaufmodell, Solidarität ein Fremdwort. Individualismus und Egoismus nähmen überhand. Der Blick für das Ganze, für das Wohl der Gemeinschaft, gehe zunehmend verloren, wird laut und lauter beklagt. Der Generationenvertrag sei in Gefahr, immer mehr Menschen fielen durch das soziale Netz.

Stimmt alles, wenn man den Sozialabbau aus der Perspektive der staatlich verordneten Fürsorgepflicht betrachtet: Angesichts von Finanzknappheit und wachsenden Defiziten sind die Politiker nicht mehr gewillt, die Behörden nicht mehr in der Lage, Unterstützungsprogramme auszubauen. Im Gegenteil: Auf dem Buckel der ohnehin schon Bedürftigen wird gespart. Sozialhilfeempfänger haben es schwer zu überleben. Flüchtlinge werden verdrängt und abgeschoben, Behinderte und Betagte gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Die Sparprogramme werden von grossen Teilen der Bevölkerung zähneknirschend akzeptiert.

Sind wir deshalb alles Egoisten, die ausschliesslich an unser eigenes Wohlbefinden denken, ohne Rücksichtnahme auf darbende Mitmenschen im In- und Ausland? Ist unsere Gesellschaft auf dem Weg, eine «Ego-AG» zu werden? Keinesfalls. Es gibt hoffnungsvolle Signale, dass die private Solidarität und Hilfsbereitschaft auch in Sparzeiten weiter existiert. Gerade das Katastrophenjahr 2005 hat gezeigt, dass die Schweizerinnen und Schweizer durchaus zu helfen bereit sind, wenn sie wissen, wohin ihre Spenden fliessen. Sammlungen für Unwettergeschädigte, für Tsunami- und Erdbebenopfer spülten Rekordbeträge in die Kassen der Hilfswerke. Auch die Stiftung «baz hilft» durfte im vergangenen Jahr erleben, wie gross die Spendenbereitschaft und Solidarität der baz-Leserinnen und -Leser mit der Bergbevölkerung ist. Zahllose Spenden gingen während der Weihnachtsaktion ein und werden in den kommenden Monaten sinnvoll verwendet.

Solidarität ist nach wie vor kein Fremdwort. Die Diskrepanz zwischen dem wachsenden Druck auf die Sozialhilfe und der privaten Opferbereitschaft lässt sich erklären: Staatliche Sozialhilfe gilt wegen der diffusen Zielgruppen und dem latenten Missbrauchsverdacht zunehmend als unpopulär. Konkrete, fallbezogene Hilfe dagegen floriert. Hier kommt Kirchen und privaten Organisationen eine wichtige Aufgabe zu.

baz vom 14.1.06

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